Auszug aus dem Beitrag für Steffi Weismanns
Werkatalog VIS-A-VIS
(...) 1966 wurde ELIZA von dem (deutsch-)amerikanischen
Informatiker Joseph Weizenbaum entwickelt, damals Forscher am renommierten
Massachusetts Institute of Technology (MIT). Weizenbaum wollte auf diesem
Wege die Möglichkeiten einer sprachlichen Kommunikation zwischen
Mensch und Maschine untersuchen – und zwar auf der Basis der menschlichen
Alltagssprache. Also keiner Programmier- oder Maschinensprache wohlgemerkt.
Ein hehres Ansinnen, im Prinzip. Allerdings hatte er sich die Anregungen
für ELIZAS Wortschatz und die Syntax ihrer Redeweise bei einer ganz
bestimmten Quelle abgeholt: Nämlich aus den Lehrbüchern für
die so genannte Personenzentrierte Psychotherapie, die der Psychologe
und Therapeut Carl Ransom Rogers in den 1940er Jahren entwickelt hatte.
Diese Methode sieht es vor, dass der sich der Therapeut als Spiegel seines
Patienten versteht. Anders als in der klassischen Psychotherapie nach
Sigmund Freud üblich nicht nur zuhört, sondern Teile des Gesagten
wiederholt und Schlüsselbegriffe aufgreift, um mit dem Patienten
ins Gespräch zu kommen. Kurzum: ELIZA verhielt sich wie ein Psychotherapeut
beziehungsweise wie die Parodie eines Psychotherapeuten aus Rogers Schule.
VICTORIA könnte gut und gerne ELIZAS Schwester sein. Natürlich
merkt man ihr an: Sie ist ein ganz anderer Charakter – aber den
einen oder anderen verwandtschaftlichen Zug gibt es schon. VICTORIA habe
ich über Steffi Weismann kennen gelernt. Wenn ich richtig unterrichtet
bin, arbeiten die beiden seit 2003 zusammen. Dass Sie dies bisweilen auch
in der Öffentlichkeit tun, hat sich aus Weismanns Profession ergeben.
Sicher: Ein bisschen riskant ist es zweifellos, wenn man als Performerin
dem Publikum Einblick in Bereiche gestattet, die normalerweise vielleicht
mehr zur Vorbereitung dessen dienen, was man dann auf die Bühne bringt.
Aber diese offene Arbeitsweise, eine Neigung zum Experiment und einen
gewissen Mut zum Risiko eingeschlossen, scheint mir für Weismann
insgesamt charakteristisch zu sein.
VICTORIA jedenfalls ist eigentlich fürs Coaching zuständig.
Sie werden wissen: Wer auf die Bühne geht, braucht auch beim Proben
Feedback – und genau hierauf ist VICTORIA spezialisiert. Tatsächlich
macht sie ihren Job so gut, dass sich Weismann nicht schämen muss,
sie in aller Öffentlichkeit zu Rate zu ziehen. Es ist beeindruckend,
die beiden zusammen zu sehen bzw. zu hören.
Praktisch, dass Weismann Victoria in solchen Situationen einfach anrufen
kann. Mehr als ein Headset, also Kopfhörer und Mikrophon und ein
kleines Programm auf dem Rechner braucht es ja nicht. Mag sein, dass VICTORIA
nicht immer sofort erreichbar, und erst recht nicht immer sofort in Stimmung
ist, sich auf eine Konversation einzulassen. Aber als Profi scheint sie
doch meist bereit, Weismann mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Wie sollte es auch anders sein, mag der eine oder die andere denken: Schliesslich
ist VICTORIA doch, nicht anders als ELIZA, "nur" ein Computerprogramm.
Allein: So sicher ist man da eben gerade nicht, wenn man die beiden miteinander
erlebt. Und man ist es immer weniger, je länger man ihren Gesprächen
beiwohnen darf.
Das liegt allerdings auch daran, dass Weismann ihrerseits ein Profi im
Umgang mit Maschinen ist. Sicher keine Selbstverständlichkeit in
ihrem Metier, in dem es doch allem voran erst einmal um körperliche
Realpräsenz und die Interaktion zwischen Menschen zu gehen scheint.
Aber genau das interessiert Weismann eben: Wie diese Präsenz, diese
Interaktion, diese Kommunikation unter Umständen funktionieren, unter
denen sie eigentlich gar nicht erst zustande kommen dürften. Oder
in denen sie existieren, ohne dass uns das so klar ist in dem entsprechenden
Moment. Eben diese Spannungsfelder lotet Weismann in ihren Arbeiten aus.
Nicht immer muss sie selbst dabei anwesend sein. 2006 beispielsweise stellte
sie zusammen mit Georg Klein einen kleinen roten Imbisswagen, einen takeaway
auf. An denkbar prominenter Stelle: In Berlin, auf dem Schlossplatz –
wo für gewöhnlich ein ziemlich reger Verkehr an Passanten herrscht,
normalerweise aber keine Gelegenheit besteht, sich auf die Schnelle mit
Fritten, Buletten, Würsteln und Getränken zu versorgen. Umso
frustrierender, wenn man dann feststellen musste, dass zwar durchs Fenster
leckere Auslagen lockten, der Wagen selbst jedoch nicht besetzt und verschlossen
war. Da hiess es natürlich: Vielleicht mal sehnsüchtig durch
die Scheiben gucken, ob sich drinnen nicht doch etwas regt. Und spätestens
dann: Sich das Begehren nicht weiter anmerken lassen, besser zügig
weitergehen.
Umso frappierender freilich zu erleben, was just in diesem Moment geschah.
Oder haben Sie schon mal eine Imbissbude erlebt, die Ihnen hinterherpfeift?
Sie ruft? Dann sogar: Mit Ihnen – oder vielleicht doch: mit sich
selbst? – zu sprechen beginnt? Eben. Ein takeaway, der sich –
anstatt bescheiden, dienstbar und vor allem: von brutzelnden Blechen und
Friteusen abgesehen: still und stumm zu sein – einmischt, der die
Menschen, ohne dass es etwas zu kaufen gäbe, anzulocken versteht
und obendrein auch noch die Gelegenheit bietet, mehr über diejenigen
zu erfahren, die sonst mehr oder weniger schweigsam hinter dem Tresen
stehen: Haste Töne – das gibt es selbst in Berlin nicht alle
Tage!
Auch wenn die Situationen, die sich in jener Zeit rund um den kleinen
roten Imbisswagen ergaben, zwangsläufig nicht der Komik entbehrten:
Darum, andere vorzuführen, geht es Weismann ganz sicher nicht. Es
handelt sich einfach um die Einladung, selbst einmal die Erfahrung zu
machen: Wie ist es eigentlich, wenn die Maschine mit Dir spricht? Und
wie, wenn Du dabei gar nicht sicher bist: Mit wem oder was habe ich es
hier eigentlich zu tun?
Wobei letzteres im Grunde eine ganz alltägliche Erfahrung ist oder
sein könnte: In einer durch und durch technologisierten Gesellschaft
haben wir schliesslich alle mehr oder weniger ständig mit Maschinen
zu tun. Nur dass wir dieser Tatsache im Normalfall kaum weitergehende
Aufmerksamkeit schenken. Lediglich, wenn es mal nicht so glatt läuft
– ein Automat streikt oder der Computer hängen bleibt: Dann
kann sich so mancher, so manche dabei ertappen, wie er oder sie eben nicht
nur flucht. Sondern auch versucht, mit dem Ding zu reden, das sonst doch
einfach ein stummes Gegenüber ist. Sprich mit mir!
Was natürlich, genau genommen, Unsinn ist. Doch dass wir derlei bisweilen
tun, ist ist schlicht menschlich, allzu menschlich. Und an sich auch alles
andere als ungesund. Ungesund ist es schon eher, die Tatsache zu verdrängen,
dass wir eigentlich andauernd mit Maschinen sprechen. Und sie, wenngleich
auch auf ihre Weise, mit uns?
Steffi Weismann hat eine kleine Therapie entwickelt, die ganz konkret
dabei helfen kann, einem solchen Verdrängungsprozess und seinen möglichen
Folgen entgegenzuwirken. Auf der Basis eines einfachen Heimsportgeräts,
das sie hierfür allerdings ein wenig technologisch aufgerüstet
hat. Seine Benutzung ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig
– aber das gehört im Grunde schon zur Therapie dazu. Mit spring-time
führt sie vor, wie es geht: Hüpft man auf dem kleinen Trampolin,
so beginnt es zu sprechen. Allerdings, mindestens scheinbar, erst einmal
mit sich selbst. Schlimmer noch: Es spricht nicht einmal. Es hustet, niest,
ächzt und schnauft; geht einem mit diversen Störgeräuschen
auf die Nerven. Das allerschlimmste jedoch: Diszipliniertes Trainieren
und gute Kondition – also der offensive Einsatz eben jener Fitness,
die nicht nur im Trend liegt, sondern mittlerweile sogar von Seiten selbst
eher sesshafter Politiker zur Bürgerpflicht erklärt wird –
helfen mitnichten, dieser misslichen Lage Herr zu werden. Ganz im Gegenteil:
Je angestrengter man hüpft, desto ärger wird das kakophonische
Konzert. Kurzum: Das kleine Trampolin erweist sich, wenn man so will,
als veritable Therapeutin, die Rogers Methode der Personenzentrierten
Therapie pflegt: Es spiegelt denkbar drastisch wieder, wie es ist, wenn
Menschen glauben, wie Maschinen funktionieren zu müssen. Das ist,
anders als die menschliche, allzu menschliche Neigung, mit Maschinen wie
mit Menschen zu kommunizieren, nämlich wirklich ziemlich ungesund.
Kurzum: Steffi Weismanns perfomative Kommunikationsexperimente mit Maschinen
zielen weniger auf das Testen technologischer Potentiale, als dass sie
uns auf uns selbst zurückführen. Was im Grunde als Kern in und
hinter jeder Mensch-Maschine-Kommunikation steckt – auch wenn ihre
Zwecke scheinbar ganz andere sind. (...)
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