Sabine Sanio: Interaktion statt Interaktivität?
Katalogbeitrag zu takeaway: Haste Töne von Georg Klein und Steffi Weismann, sonambiente 2006 Der Bereich, in dem Georg Klein und Steffi Weismann seit ungefähr zwei Jahren zusammenarbeiten, liegt für jeden von ihnen außerhalb ihres ursprünglichen Arbeitsschwerpunktes – Georg Klein ist von Haus aus Komponist, Steffi Weismann kommt von der Performancekunst. Unabhängig voneinander interessieren sich beide seit langem für ungewöhnliche Aufführungsorte. Dabei entstehen Konzepte, die sich oft nur mit avancierter Technik realisieren lassen. An ihren gemeinsamen Arbeiten sticht ein Moment besonders hervor, das den vieldiskutierten Begriff der Interaktivität aus dem Kontext der Computer- und Netzkunst herauslöst und in sozialen Zusammenhängen erprobt. Bei pick up, ihrem ersten gemeinsamen Projekt (2005) in einem Kiosk in Bern, konnte man gut beobachten, wie dabei Sprache und Bedeutung mit ins Spiel kommen. Bei der Performance agierten die Künstler inkognito und verwickelten Unbeteiligte in Flirts und Anbaggerversuche, die vom Vernissage-Publikum beobachtet wurden. Dagegen versuchte bei der Installation der Kiosk selbst jeden Passanten ins Gespräch zu ziehen. Es entwickelten sich ungewöhnliche Situationen, zu denen man keinerlei Auflösung oder technische Erklärung erhielt. Steffi Weismann transformiert in ihren Projekten häufig alltägliche Situationen mittels technischer Hilfsmittel in eine Art Versuchsanordnung und zieht so das Publikum unversehens in ein Spiel mit ungewissem Ausgang hinein. Bei ihrer Performance Calling Victoria verwickelt sie die synthetische Standard-Stimme Victoria mittels eines Spracherkennungsprogramms, in ein persönliches Gespräch, bei dem die künstliche Stimme zu einem realen Gegenüber wird. Die künstliche Intelligenz offenbart so ein "Eigenleben" und macht Möglichkeiten und Grenzen einer fortgeschrittenen Mensch-Maschine-Beziehung direkt erlebbar. Man nimmt den Moment, in dem die Manipulation einsetzt, kaum wahr, so sehr ist man befangen in der Ambivalenz zwischen Faszination und Distanzierungsbedürfnis, die schließlich dazu führt, daß man die eigene Wahrnehmung zu reflektieren versucht. Georg Klein setzte sich in früheren Projekten häufig mit einem bestimmten Ort auseinander, zumeist unwirtliche Orte der Passage wie Haltestellen oder U-Bahn-Gänge. Mit Strategien zur akustischen Intervention, die er inzwischen mit Video kombiniert und die die Besonderheiten einer Situation erfahrbar machen sollen, erzeugt er an solchen Orten einen „Spannungsraum“. Bei seiner ersten Installation transition, mit der er 2001 Richard Serras Skulptur Berlin junction vor der Berliner Philharmonie bespielte, war der Ort dreifach konnotiert – durch Serras Plastik, als eine Art Niemandsland im städtischen Raum und historisch, die Tiergartenstraße 4 war Ausgangspunkt für die von den Nazis organisierte Euthanasie. Klein reagierte auf die Situation mit einer akustischen Intervention, für die er Fragmente von Brechts Gedicht Der Radwechsel mit scharf metallischen Klängen kombinierte. Wie Brecht beharrt Klein darauf, daß es sich lohnt, auch an solchen „Nicht-Orten“ (Marc Augé), die wir unterwegs, also nur flüchtig und zufällig kennenlernen, innezuhalten und zu fragen, wo wir sind und wie wir dorthin geraten konnten. |